Foto: Erobella
Prostituierte und Aktivistin: Rory verrät die Realität in der Sexarbeit!
Sexarbeit ist ein gesellschaftliches Tabu, obwohl sie allgegenwärtig ist. Rory aus Berlin ist nicht nur Prostituierte, sondern auch Aktivistin und kämpft mit ihrer Arbeit beim Verein Hydra für die Entstigmatisierung von Sexarbeit und für mehr Aufklärung. Im Interview mit Erobella verrät sie, warum sie lange ein Doppelleben geführt hat und wie die Realität für Sexarbeiter*innen wirklich aussieht.
Männer und Geld: Für Rory schon immer die perfekte Mischung
Auf die Frage, wann sie mit der Sexarbeit angefangen hat, kann Rory keine klare Antwort geben. Im Erobella Interview erzählt sie, dass sie schon sehr früh wusste, wie Männer in ihrer Familie mit Geld umgehen und dass sie gewisse Erwartungen erfüllen muss, um mehr Taschengeld zu bekommen: „Das hat mir manchmal nicht gereicht und ich wusste, wenn ich mit jemandem ausgehe, muss ich mein Abendessen und den Eintritt zur Party nicht bezahlen.“
Rorys Registrierung als Prostituierte nach dem Prostitutionsschutzgesetz markiert für sie ihr Outing als Sexworkerin – aber nicht unbedingt den Anfang ihrer Arbeit, denn bereits vorher hat sie für eine Escort-Agentur gearbeitet: heimlich und ohne sich zu outen.
Vom Doppelleben zur Sexarbeitsaktivistin
Ihr Doppelleben, das sie aufgrund der Stigmatisierung von Sexarbeit vor ihrem Outing führte, hat Rory lange belastet, wie sie gesteht. Diese Erfahrung gehört für sie zu den Schattenseiten ihres Jobs: „Die negativen Erfahrungen, die ich in der Sexarbeit gemacht habe, waren größtenteils nicht mit Kund*innen, sondern das Stigma gegen Sexarbeit. […] Das hat mich psychisch belastet, weil man nie weiß, wem man vertrauen kann.“ Rory konnte sich lange nicht auf das fokussieren, was sie eigentlich machen wollte: Sexarbeiterin sein! Sie überlegte, wie viel sie von ihrer Arbeit preisgeben kann und wie viel Aufklärungsarbeit sie für ihr Outing leisten muss.
Das änderte sich erst, als sie beim Berliner Verein Hydra, der sich für die Gleichstellung von Sexarbeitenden einsetzt, arbeitete. Rory unterstützt die Beratungsstelle, die neben einem Café nur für Sexworker*innen, auch Workshops zu Dating, Dirty Talk mit Kund*innen und rechtlichen Themen anbietet.
Im Rahmen ihrer Arbeit hat die Sexaktivistin ein Projekt betreut, das Prostituierten den Zugang zu klassischen Therapien ermöglicht: ohne stigmatisiert, pathologisiert oder abgelehnt zu werden. Diese Erfahrungen machen Sexworker*innen auf der Suche nach therapeutischer Hilfe häufig, obwohl ihre Arbeit auch zur Enttabuisierung der Sexualität in der Bevölkerung beitragen kann, wie Rory aus eigener Erfahrung weiß.
Zwischen heilsamen Prozessen und Stigmatisierung: Das ist die Realität der Sexarbeit
Rory bringt das Mindest zu Sexwork in Deutschland im Interview auf den Punkt: „Die Menschen in Deutschland sind nicht gut über Sexarbeit aufgeklärt.“ Für die meisten ist Sexwork entweder Menschenhandel und Zwangsprostitution oder der pure Luxus mit Sugar-Daddys und First-Class-Reisen nach Dubai. Als erfahrene Sexworkerin weiß Rory, dass die Realität in 90 Prozent der Fälle dazwischen liegt: „80 Prozent hast du eine gute Zeit, 10 Prozent ist fantastisch und 10 Prozent machst du deinen Job. Mein Job ist Care-Arbeit, wie viele andere Berufe auch.“
Eine ihrer schönsten Erfahrungen war ein 24-Stunden-Date mit einem Freier, bei dem sie Heilungsprozesse in Gang setzen konnte, die mit einer klassischen Gesprächstherapie einige Jahre gedauert hätten.
Sexarbeit ist überall vertreten
Freier haben die Möglichkeit sich bei Rory und ihren Kolleg*innen von Hydra über den Freier-Knigge, Verhalten bei mutmaßlichen Zwangslagen von Prostituierten und Hintergründen von speziellen Fetischen zu informieren. „Wir haben alle mit Sexarbeit zu tun“ ist ihre Botschaft, denn nicht nur Paysex, sondern auch Pornografie gehört zu Sexarbeit.
Rory sieht großen Aufklärungsbedarf in Sachen Sexwork, denn entgegen der immernoch herrschenden Meinung ist Prostitution weder eine Gefahr für die traditionellen Familienmodelle noch ein Superspreader für sexuell übertragbare Krankheiten. Was Kund*innen oft nicht wissen: Die klassischen Sexworker*innen gibt es nicht, denn Sexarbeit ist überall vertreten und so verdienen sich Alleinerziehende, Personen, die Angehörige pflegen, und auch Steuerberater*innen mit Sexarbeit was dazu.